| |
Hallo Hollywood ... hier spricht Anna!
Home, Sweet Cinema
|
Read more
at
in70mm.com
The 70mm Newsletter
|
Von: Anna-Franziska
Rudschies, Zurich. Images by: Thomas Hauerslev. From "Laser
Hotline Newsletter" - used by permission |
Date:
26.10.2011 |
Der Taxifahrer redet und redet. Die Unterhaltung ist schon längst ein
Monolog geworden. Dann sagt er: „Außerdem soll es regnen und kalt werden
dieses Wochenende. Da haben Sie ja einen ungünstigen Zeitpunkt gewählt, um
nach Karlsruhe zu kommen!“ Ich lächle ihn kühl an. „Nein, ich werde das
ganze Wochenende im Kino verbringen.“ Als ich endlich im Hotel bin, steigt
mein Adrenalinspiegel. Ich werfe das Gepäck in eine Ecke, ziehe mich um und
haste zur Schauburg. Erst als ich vor dem handgemalten Festivalposter stehe,
auf dem die wunderbaren Worte „70mm“, „Todd-AO“ und „Cinerama“ prangen,
fällt die Anspannung von mir ab und verwandelt sich in pure Freude. „Home,
sweet home“ schießt mir durch den Kopf.
Der Oktober ist gekommen und mit ihm das
7. Todd-AO 70mm-Filmfestival der
Schauburg in Karlsruhe. Wie jedes Jahr versammelt sich dort eine große
Filmliebhaberfamilie. Wir alle sind gekommen, um dem unvergleichlichen
70mm-Filmformat zu huldigen und uns in ferne Welten und Zeiten entführen zu
lassen. Einige meiner Lieblingsfamilienmitglieder haben es dieses Jahr
leider nicht geschafft. Mein Vater, der Filmsammler
François Carrin oder der
Projektionist Duncan McGregor aus Bradford sind abwesend. Von allen habe ich
den Auftrag, an alle unsere Freunde Grüße zu übermitteln. An diesem Freitag
bin ich fast nur mit dem Austeilen und Einsammeln von Grüßen beschäftigt.
Der erste Film ist russisch.
"Bela" von Stanislav Rostotsky. Schlau von
den Programmmachern, diesen an den Anfang des Festivals zu setzen. Über zwei
Stunden russische Liebesgeschichte mit einem verwöhnten, narzisstischen
Helden und einer am Stockholm-Syndrom leidenden Häuptlingstochter sind nur
schwer zu ertragen. Da braucht man die Energie, die zu Beginn des Festivals
noch vorhanden ist. Aber die Kopie ist farblich sehr schön und in
Originalton mit Untertiteln, was bei 70mm-Festivals oftmals nicht der Fall
ist. Nach Bela ging es pink gefadet weiter, mit "The Greatest Story Ever
Told". Bibelfilme liebten das gewaltige 70mm-Format. Dieser ist keine
Ausnahme. Letztes Jahr litt Jeffrey Hunter als Jesus, dieses Jahr Max von
Sydow. Diese Kopie war allerdings eine deutsche Fassung, was den Genuss
etwas beeinträchtigte. Die Dialoge wirkten wie Kanzelpredigten, obwohl das
im Originalton (trotz biblischer Zitate) bewusst umgangen worden war.
Trotzdem: ein solider, berührender Bibelfilm.
Charlton Heston – wahrscheinlich Rekordhalter für die meisten 70mm-Auftritte – als Johannes
der Täufer ist absolut unschlagbar.
|
More
in 70mm reading:
Todd-AO Festival Home
• 7. Todd-AO
Festival
• Wilkommen |
Welcome
•
Intro |
Festival Images
•
2011 Festival Flyer (PDF)
Festival Archives
•
Festival Through the Years
•
Festival Schedule
and Archive
•
More Schauburg Cinerama
Festivals in Pictures
•
Schauburg Cinerama
•
Best of Todd-AO Festival
• Guests |
Billboards |
Posters
My First 70mm
Internet link:
•
Schauburg.de
•
laserhotline.de
|
Auf die Passion Christi folgte ein Festival-Highlight: der Vortrag von
Filmhistoriker und Oscarpreisträger Kevin Brownlow zum Thema „Frühe
Experimente mit großformatigem Film“. Der zierliche alte Mann stellte dar,
wie viele der heutigen Filmtechniken bereits in der Anfangszeit der bewegten
Bilder entstanden. Zwischen die Fakten sprenkelte er immer wieder Anekdoten,
z.B. mit Abel Gance, und imitierte dabei Stimmen und Akzente. Hinreißend!
Nach dem Vortrag kamen die Zuschauer sogar in den Genuss, eine Szene aus dem
Triptychon des Stummfilmes Napoleon zu begutachten. Es war überwältigend.
Diese Leidenschaft und avantgardistische Inszenierung!
Der Freitagabend wurde höchst amüsant mit dem 1930 erschienenen
"The Bat
Whispers" abgeschlossen. Eine herrlich dämliche „murder mystery“-Komödie
mit Chester Morris. Alle kugelten sich vor Lachen. Eine perfekte Einleitung
in das feuchtfröhliche Get-together danach, welches mit Hoepfner-Bier (oder
in meinem Fall Bionade) begossen wurde.
Dann war endlich der lang ersehnte Samstag da! Wieso ich dem
entgegengefiebert hatte? Na, wegen dem Schauburg-Frühstück natürlich! Wie
jedes Jahr opulent, äußerst schmackhaft – bei der bloßen Erinnerung an die
Croissants und Bratwürstchen läuft mir das Wasser im Mund zusammen – und
eine herrliche Gelegenheit, um mit der Filmfamilie über … eben … Film zu
sprechen! Jedes Jahr hört man das ganze Wochenende lang, in jeder Ecke, von
den Besuchern dasselbe: Außer den Filmen ist das Frühstück das Beste am
ganzen Festival. Dieses Jahr gab es sogar nicht nur Orangensaft, sondern
zusätzlich auch Apfelsaft! Ja, die Liebe steckt wahrlich im Detail.
Der Samstag enthielt viele wunderbare Filme, darunter der originelle und
traurige Western "Wild Rovers" oder den, selbst von 70mm-Fans fast
nie gesehenen "Sheherazade". Diese orientalische Liebesgeschichte
hatte im Erscheinungsjahr 1963 wenig Erfolg und war in den darauffolgenden
Jahrzehnten verschollen. Von den etwa 120 Weekendpass-Inhabern nur drei den
Film je gesehen. Einer von ihnen hatte ihn dafür während der gesamten
Laufzeit in seiner Stadt jeden Tag besucht. 16-jährige Jungen und bauchfreie
Frauen in glitzernden Büstenhaltern passen eben seit jeher äußerst gut
zusammen. Wenn ich der Kalif Harun al-Rashid gewesen wäre, hätte ich
allerdings die ägyptische Prinzessin erwählt, nicht Sheherazade. Die war
nicht so weinerlich drauf.
Am Samstagabend dann mein persönliches Festival-Highlight: "Hamlet"
von und mit Kenneth Branagh. In Originalfassung und unversehrten Farben war
dieser Film einfach überwältigend. Ich hatte ihn bislang nur einige Male auf
einem Fernsehbildschirm gesehen. Doch die Kraft von 70mm ist unerreicht.
Viele Besucher, darunter der tschechische Projektionist Pawel aus Krnov,
aber auch Engländer, waren nach diesen gewaltigen vier Stunden Drama wie
geplättet. Pawel sah mich hinterher erschöpft an und sagte: „Und ich fand
schon, dass die beim russischen Film so viel reden. Aber hier, hier hat es
gar nicht mehr aufgehört!“ Trotz meiner Anteilnahme für ihn hatte ich
persönlich dieses Problem nicht. Aber ich bin auch ein Shakespeare-Fangirl
und deshalb sollte man bei so etwas lieber nicht auf mich hören. Einziger
Wermutstropfen dieser Gala-Vorstellung: Keiner hatte sich schön gemacht. Mit
meinem Kleid, Ohrringen und blutroten Lippen stand ich allein auf weiter
Flur und bekam ständig zu hören: „Oh, Du hast dich aber hübsch gemacht!“ Ja,
es stand auch „Sekt-Empfang“, „Gala-Vorstellung“ und „Abendgarderobe“ auf
dem Programm! In den ersten Jahren des Festivals zogen sich noch alle für
den Samstagabendfilm um. Krawatten, High Heels und festliche Kleidung wurden
angelegt. Seit etwa zwei Jahren kennt sich die Familie wohl zu gut, um sich
noch zu bemühen. Nächstes Jahr bitte: Abendgarderobe, liebe Leute!
|
|
Am Sonntag bekamen wir in Form von kanadischen Expo-Kurzfilmen fünf
Schmankerl serviert. Diese sehr modernen Werbefilme für Kanada waren toll.
Es ist immer interessant zu sehen, wie sich ein Land vermarktet, wie es sich
selbst sehen möchte – wobei man dabei den zeitlichen Kontext, in diesem Fall
1967 und 1971, nicht außer Acht lassen sollte. Würde man A Place to Stand
mit seinen Aufnahmen der industriellen Holzverarbeitung heute sehen, würde
man annehmen, die Kanadier seien stolz darauf, ihre natürlichen Ressourcen
zu verschwenden. Damals aber signalisierten diese Aufnahmen Stolz auf eine
starke Wirtschaft.
Mein Lieblingsfilm am Sonntag war der Abspann des Festivals: "Kelly's
Heroes". Leider stark ins pink-braune gefadet und in deutscher
Synchronfassung. Ans Pink haben wir Festivalbesucher uns mittlerweile
gewöhnt, aber an der Vielzahl der Synchronfassungen sollte noch gearbeitet
werden. Gerade bei vielen internationalen Besuchern war das in den Pausen
ein immer wiederkehrendes Thema. Auch die, die des Deutschen mächtig sind,
hätten sich mehr Originalversionen gewünscht. Dennoch hatten wir alle
diebische Freude an diesem Kriegsfilm, der sogar auf einer wahren
Begebenheit basiert!
Der Abschied fiel wie gewohnt schwer. Unendliche Umarmungen und Küsse wurden
verteilt, immer noch eine Visitenkarte ausgehändigt, noch eine Filmanekdote
mehr erzählt, die einem in diesem Moment unglaublich wichtig erscheint. Mein
persönlicher Abschied wurde von Wolfram Hannemann und dem Schweizer Pfarrer
Willy Egger noch etwas verlängert und versüßt. Ich sah die beiden am
Montagmorgen beim Hotelfrühstück (kein Vergleich zum Schauburg-Frühstück!)
wieder. Mein Lieblingspfarrer unterhielt sich noch fast eine Stunde mit mir.
Nach Hause in den Alltag gehen wollten wir wohl beide nicht so recht.
Doch alles hat ein Ende, auch das beste Familientreffen der Welt. Mit einem
weinenden und einem lachenden Auge – oder sollte ich lieber „With an
auspicious, and a dropping eye / With mirth in funeral, and with dirge in
marriage“ sagen – ging es zurück in eine Welt ohne großformatiges Kino.
Dass ich dieses Jahr ohne meine engsten und liebsten Begleiter am
70mm-Festival der Schauburg teilnehmen musste, hatte mich zuerst traurig
gemacht. Doch ich scherze nur bedingt, wenn ich unsere Bande Filmfanatiker
eine Familie nenne. Nur in der Schauburg lernt man jedes Jahr neue
Familienmitglieder kennen, die den filmischen Horizont erweitern, die einen
wirklich verstehen, wenn man schwärmt und die sich, mit drei gehorteten
Croissants, über das Wunder 70mm und die damit verbundenen Erinnerungen
unterhalten. Ich war an diesem Wochenende nie allein, und das nicht nur
wegen der wundervollen Begleitung, die Jesus, Ross Bodine, Hamlet,
Sheherazade oder Private Kelly darstellten.
|
|
|
|
Go: back
- top -
back issues
- news index
Updated
09-01-25 |
|
|